Gergely Fórizs’ Rezension über das Buch von Denis Thouard

december 31st, 2017 § 0 comments

Rezension

De­nis Tho­u­ard, Ge­teil­te Ideen. Phi­lo­sop­his­che Ver­su­che, den Le­ser zum Vers­te­hen zu brin­gen, aus dem Franz­ö­sis­c­hen von Ul­rich Kunz­mann, Matt­hes & Se­itz, Ber­lin, 2016.

Das vor­li­e­gen­de äußerst ins­p­ira­tive Werk wurde zunächst 2007 auf Franz­ö­sisch pub­li­zi­ert und noch in demsel­ben Jahr mit dem Prix Ro­bert Blanc­hé de l’ Aca­dé­mie des sci­en­ces mo­ra­les et po­li­ti­ques aus­ge­ze­ich­net. Es han­delt sich hi­er­bei um ein un­ge­wöhn­li­ches Un­ter­neh­men und zwar un­ter meh­re­ren Ge­sichts­punk­ten. Im Mit­tel­punkt der Un­ter­su­chung ste­hen Tex­te der deu­tsc­hen Phi­lo­sop­hie von der Aufklä­rung bis zu He­gel, aber es wird in ers­ter Li­nie nicht ihr In­halt er­ör­tert, son­dern die Ant­wor­ten, die sie „auf die Hera­us­for­de­rung der Form” (7.) ga­ben. Dar­ü­ber hi­na­us er­sche­int di­e­ser Band auch des­we­gen be­mer­kens­wert, weil es nicht üb­lich ist, die großen Gest­al­ten der deu­tsc­hen (Früh)Romantik und des deu­tsc­hen Ide­al­is­mus zu­sam­men mit den nicht-kanonischen Vert­re­tern der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie ab­zu­han­deln: Ge­wöhn­lich wird den letz­te­ren in der Phi­lo­sop­hi­e­ge­schich­te höchs­ten ein Fuß­no­tens­ta­tus ge­si­chert. Die Emanz­ipa­ti­on di­e­ses The­mas bei Tho­u­ard ist die Fol­ge der Ein­sicht, dass die Ger­ingschät­zung oder so­gar Auße­racht­las­sung der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie ei­gentlich der Selbs­terzäh­lung und der Selbst­bestä­ti­gung der Pro­ta­go­n­is­ten des deu­tsc­hen Ide­al­is­mus ent­springt. Es han­delt sich nach ihm da­bei aber um ein „Miss­verständ­nis”, das „be­ze­ich­nend” sei „für die Sch­wi­e­rig­ke­i­ten, die Kant, Re­in­hold, Fic­h­te oder He­gel mit der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie hab­en konn­ten, als sie di­e­se zu­rück­wi­e­sen, ob­wohl sie selbst dur­cha­us zu Ge­dan­ken ge­lang­ten, um die sich auch die Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie be­müh­te”. (32–33.)

Di­e­se zwe­i­fach über­ras­c­hen­de He­range­hens­wei­se bewährt sich hier al­ler­dings aus­ge­ze­ich­net: Die Er­forschung von the­o­retis­c­hen Über­le­g­un­gen zur Form der Phi­lo­sop­hie führt in di­e­sen Fäl­len zu Kernf­ra­gen und die Ne­be­ne­inan­ders­tel­lung von di­e­sen recht un­ter­schi­ed­li­chen Auf­fas­sun­gen über die Art und Wei­se, wie man den Le­ser zum Vers­te­hen brin­gen kann, eröff­net neue ge­schicht­li­che Perspektiven.

Der Band be­in­hal­tet Aufsät­ze zu Tex­te der deu­tsc­hen Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie (mit ei­nem Sch­wer­punkt auf Jo­hann Au­gust Ern­es­ti und Ch­ris­ti­an Gar­ve), von Fic­h­te, der Ro­man­tik (hier vor al­lem von Fried­rich Sch­le­gel und dem Athe­na­e­um), von Sch­lei­er­ma­cher und He­gel (Phä­no­me­no­lo­gie des Ge­is­tes). Die Ein­heit in di­esem vi­elfäl­ti­gen Stoff erb­lickt Tho­u­ard da­rin, dass di­e­se Wer­ke glei­cher­maßen auf di­esel­be Hera­us­for­de­rung eine Ant­wort su­chen, näm­lich dass die aufklä­re­ris­che Phi­lo­sop­hie der Zeit „ei­nen im­pe­ra­tiv der Uni­vers­a­lität ver­mit­teln” und „zur Te­i­lung an­bi­e­ten” musste. Un­ter Form wird hier also in ers­ter Li­nie nicht Spra­che und Stil der Phi­lo­sop­hie ver­stan­den, son­dern all­ge­me­in die Mög­lich­ke­i­ten ih­rer Ver­mitt­lung. (12.) Dass das Prob­lem der Ver­mitt­lung oder Po­pu­la­ri­si­er­ung der Phi­lo­sop­hie zu Mit­te des 18. Jahr­hun­derts in die Mit­te ge­rückt ist, ze­uge nach Tho­u­ard „von ei­ner ne­u­en Beach­tung der Zu­hör­er und Le­ser”, (145.) wo­bei „die Mit­te­i­lung der Ideen in ih­rer emanz­ipa­to­ris­c­hen Trag­we­i­te” be­rück­sich­tigt wurde. (146.)

Des Wei­te­ren ver­zi­ch­te ich da­ra­uf, di­e­ses re­ich­halt­ige, präg­nant for­mu­li­er­te Buch bis in die Ein­zel­he­i­ten zu be­sprec­hen, statt­des­sen kon­zent­ri­e­re ich auf die überg­re­i­fen­de Erzäh­lung, die hier von di­e­ser Epo­che der deu­tsc­hen Phi­lo­sop­hi­e­ge­schich­te dar­ge­bot­en wird. Das Ha­up­tan­li­e­gen des Wer­kes ist, den Pro­zess dar­zustel­len, wie eine „Rhe­to­rik der Klar­he­it” des aus­ge­hen­den 18. Jahr­hun­derts von der Zeit der Früh­ro­man­tik an durch eine Ref­le­xion über die Fol­ge und Mög­lich­ke­it bzw. Un­mög­lich­ke­it der Kom­mu­ni­kat­ion ab­gewählt wurde und wie di­e­se Verän­de­rung des Den­kens vom Verhält­nis der Phi­lo­sop­hie zu ih­rer Mit­te­i­lung auch das Den­ken über die Be­st­im­mung der Phi­lo­sop­hie selbst verän­der­te. (Vgl. 145.) In Tho­u­ards bünd­i­ger Zu­sam­men­fas­sung: „Wenn es kei­ne Evi­denz des ge­sch­ri­ebe­nen oder ges­pro­che­nen Dis­kur­ses mehr gibt, muss man sich um Verständ­nis be­mü­hen – di­e­ses wird eine Auf­ga­be, al­ler­dings eine end­lose Auf­ga­be”. (88.) Da­mit wer­den Fried­rich Sch­le­gel und Fried­rich Sch­lei­er­ma­cher zu den Pro­ta­go­n­is­ten di­e­ser Ge­schich­te, die mit der Ein­füh­rung der frag­men­ta­ris­c­hen Sicht­wei­se dem „his­toris­c­hen Bruch […] mit dem Kon­ti­nu­um der Tra­di­ti­on” (89.) ge­nü­ge le­is­te­ten. Sch­li­eß­lich kommt He­gel zu der Ein­sicht, dass „die Dars­tel­lung der Wahr­he­it in die Dars­tel­lung ih­rer Ent­dec­kung zu in­teg­ri­e­ren” sei, wes­halb „die phi­lo­sop­his­che Dar­le­g­ung die Form ei­ner voll­ständ­i­gen Ge­schich­te des Wis­sens an­neh­men” muss. (134.)

Di­e­se Erzäh­lung von der Ste­ige­rung des Form­be­wusst­se­ins der Phi­lo­sop­hie, die mit ei­ner er­höh­ten Be­rück­sich­ti­gung der Ge­schicht­lich­ke­it des phi­lo­sop­hi­e­ren­den Sub­jek­tes ein­her­geht, sche­int auf den ers­ten Blick ein­le­uch­tend zu sein, weist aber ein­ige Schwä­chen auf, die im Grun­de ge­nom­men da­ra­uf zu­rück­zu­füh­ren sind, dass Tho­u­ard die von ihm selbst bean­sp­ruc­h­te Pers­pek­tive der Emanz­ipa­ti­on der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie nicht kon­se­qu­ent ge­nug gel­tend macht. Er versäumt näm­lich da­bei zu be­rück­sich­ti­gen, dass das (ge­woll­te?) „Miss­verständ­nis” der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie etwa se­i­tens He­gels – aber hier könn­te man auch die Na­men von Fried­rich Sch­le­gel und Fried­rich Sch­lei­er­ma­cher nen­nen – et­was ursprüng­lich ge­dank­lich Ge­me­in­sa­mes mit di­e­ser Rich­tung verdeckt.

Ein Be­is­pi­el. Nach Tho­u­ard ent­s­preche die po­pu­larp­hi­lo­sop­his­che (aber auch Fic­h­te prä­gen­de) „Rhe­to­rik der Klar­he­it”, der die Früh­ro­man­ti­ker ein Ende ge­setzt hab­en soll­ten, dem Ver­langen „nach ei­nem um­fa­ssen­den, der Aufklä­rung ei­gen­tüm­li­chen Verständ­nis­wil­len”. (62.) Es ist aber zwe­i­fel­haft, dass die Welt der Aufklä­rung in ih­rer gan­zen Bre­i­te, mit ei­ner Aufs­tel­lung von un­wan­del­ba­ren Ver­nunft­ge­se­tzen gleich­zus­etzen wäre. Da­bei ver­gisst man, dass die Aufklä­rung selbst ei­nen Bruch mit der her­kömm­li­chen sta­tis­c­hen Ord­nung dars­tellt. Hier kön­nen die me­tap­ho­ris­c­hen Wor­te von Ale­i­da Ass­mann he­rangezo­gen wer­den: „Aufklä­rung be­de­u­tet Tra­di­ti­onsb­ruch. An die Stel­le der über Ge­ne­ra­ti­onen von Hand zu Hand wei­ter­ge­re­ich­ten Stammbäu­me und Sinn­ge­bun­gen […] tritt als ein Ne­u­er Bund das An­ge­bot der Ver­ges­ells­chaf­tung durch Bil­dung. Den Kern di­e­ses ne­u­en Evan­ge­li­ums bil­det die Idee der Hu­ma­nität.” (Ale­i­da Ass­mann, Ar­be­it am na­ti­o­nalen Gedächt­nis: Eine kur­ze Ge­schich­te der deu­tsc­hen Bil­dung­si­dee, Cam­pus, Frankfurt/New York, 1993, 32.) In di­e­ser dy­na­mis­c­hen Sicht der Aufklä­rung er­sche­int zwar die An­nah­me ei­ner Evi­denz (der Idee der Hu­ma­nität), die ist aber nicht ein­fach vorge­ge­ben, son­dern muss im Zuge der Bil­dung an­gest­rebt wer­den. Das Verständ­nis (letzt­lich als Selbst­ver­ständ­nis) wurde also schon vor der Früh­ro­man­tik, in der Aufklä­rung zu ei­ner „Auf­ga­be” des Menschen.

Fic­h­te, Sch­le­gel, Sch­lei­er­ma­cher und He­gel for­mu­li­er­ten glei­cher­maßen eine schar­fe Kri­tik über die Vor­ge­hens­wei­se der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie, und di­e­se ab­wer­ten­den Beur­te­ilun­gen wer­den im vor­li­e­gen­den Band oft zi­ti­ert. Ihre Kri­tik trifft reg­elmäßig die po­pu­larp­hi­lo­sop­his­che Be­ru­fung auf den „ges­un­den Mensc­hen­ver­stand” oder „Ge­me­in­sinn” als Grund­lage des Phi­lo­sop­hi­e­rens. Mei­nes Erach­tens geht aber di­e­se Kri­tik nie so weit, dass man auch die Mög­lich­ke­it der Exis­tenz ei­ner in­ter­sub­jek­ti­ven Grund­lage des mensch­li­chen Wis­sens, und da­mit letz­tend­lich die Be­rech­tigt­he­it des aufklä­re­ris­c­hen Bil­dung­s­pro­jek­tes be­st­re­i­tet. So das Fichte-Zitat aus der Grund­lage der ge­sam­ten Wis­senschaftsleh­re auf Se­i­te 72 zeigt Fic­h­tes „Geg­ner­schaft zur Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie als Aus­for­mung des ges­un­den Mensc­hen­ver­stand­es” nur in dem Sin­ne, dass nach Fic­h­te es nicht ge­nü­ge, die Fak­ta ohne phi­lo­sop­his­che Ref­le­xion vor­zu­ze­igen, son­dern (fährt Fic­h­te fort) „man muss ja wohl wis­sen, wie man zu der Über­ze­ugung ge­langt ist, dass sie als Fak­ta vor­han­den; und man muss ja wohl di­e­se Über­ze­ugung mit­te­i­len kön­nen, und eine solc­he Mit­te­i­lung jener Über­ze­ugung ist ja wohl der Be­weis, dass jene Fak­ta Fak­ta sind”. (72.) Das wäre ei­gentlich kei­ne „Geg­ner­schaft” zur Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie, son­dern le­dig­lich eine ver­bes­ser­te Form der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie, wo­bei die je­we­i­lige Will­kür des ein­zel­nen Phi­lo­sop­hen im Zuge der Kom­mu­ni­kat­ion un­ter Kont­rol­le der phi­lo­sop­hi­e­ren­den Ge­me­inschaft geb­racht wird.

Das wäre der Sinn der „wah­ren Po­pu­la­rität” Fic­h­tes, die von Fried­rich Sch­le­gel so aus­d­rück­lich ge­bil­ligt wurde. (Vgl. 84–85.) Aber auch Sch­le­gels Es­say Über die Un­verständ­lich­ke­it nä­hert sich dem Ge­dan­ken­gut der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie. Sei­ne Ein­sich­ten kön­nen fol­gen­der­maßen re­sü­mi­ert wer­den: „Der Sinn der phi­lo­sop­his­c­hen Wer­ke kön­ne nicht als be­stimm­ten For­men inhä­rent ge­dacht wer­den, denn er ver­wei­se auf die Denk­be­we­g­ung, die über jede Form hi­na­us­ge­he”. (Thouard’s Re­sü­mee, 85.) Es of­fen­bart sich hier näm­lich die ge­me­in­same Er­kennt­nis der Ro­man­ti­ker des Athe­na­e­ums und der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hen, dass man das Den­ken nicht in star­re For­men zwin­gen darf, denn es nur in der Form ei­nes unend­li­chen Pro­zes­ses zur Bil­dung füh­ren kann. Hier zeigt sich di­esel­be Grunda­uf­fas­sung, die schon von dem Po­pu­larp­hi­lo­sop­hen Mos­es Men­dels­sohn im Zuge sei­ner De­bat­te mit Kant auf die Form­el geb­racht wurde: „Zustand der Aufklä­rung ist zu­we­i­len bes­ser, als Zustand der Auf­geklärt­he­it.” Sonst, so Men­dels­sohn, wür­den „die herr­sc­hen­den Grundsät­ze” die Ver­nunft, „von der sie her­stam­men” ver­ken­nen, und „hö­ren auf ver­nünf­tig zu seyn”. (Mos­es Men­dels­sohn, Öf­fent­li­cher und Pri­vat­geb­ra­uch der Ver­nunft = Ders., Ge­sam­mel­te Sch­rif­ten, Le­ip­zig, 1844, 4, 146.) Das Vers­te­hen darf also nie in der Aufs­tel­lung von „herr­sc­hen­den”, für im­mer gel­ten­den Grundsä­tzen mün­den, darf nicht vollständig-totalitär sein. Ganz in di­esem Sin­ne for­mu­li­er­te Sch­le­gel sein be­rühm­tes, auch von Tho­u­ard zi­ti­er­tes Frag­ment: „Eine klas­sis­che Sch­rift muß nie ganz ver­stan­den wer­den kön­nen. Aber die, wel­che ge­bil­det sind und sich bil­den, müs­sen im­mer mehr dra­us ler­nen wol­len.” (88.) Wo­ran li­egt es denn, dass Sch­le­gel und Sch­lei­er­ma­cher glei­cher­maßen ge­gen den von Po­pu­larp­hi­lo­sop­hen wie Ch­ris­ti­an Gar­ve und Jo­hann Ja­kob En­gel reprä­sen­ti­er­ten „ges­un­den Mensc­hen­ver­stand” ar­gu­men­ti­e­ren? Hier gibt es ke­i­nen Platz da­für, auf di­e­ses The­ma aus­führ­li­cher ein­zug­ehen, aber man hat den Eind­ruck, dass die Früh­ro­man­ti­ker die Po­pu­larp­hi­lo­sop­hen eben als Reprä­s­en­t­an­ten von „herr­sc­hen­den Grundsä­tzen” an­se­hen, die un­ter dem Vor­wand des all­ge­me­i­nen Mensc­hen­ver­stand­es und der Po­pu­la­ri­si­er­ung von Ideen die Ge­schicht­lich­ke­it und da­mit den Er­folg des Bil­dung­s­pro­zes­ses aufs Spi­el se­tzen. Hier kann Tho­u­ards Ein­wand ge­gen He­gel eben­falls ge­gen die Früh­ro­man­ti­ker gel­tend ge­macht wer­den: Sie las­sen „das Pro­jekt der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie außer Acht” und in­terp­re­ti­e­ren es „im Ge­gen­satz zu sei­ner Zi­el­set­zung”. (32.) Da­für ze­ugt etwa Sch­le­gels Plä­do­yer in se­i­nem Unverständlichkeit-Essay für die (ge­schicht­li­che) Re­la­ti­vität der Verständ­lich­ke­it im Zu­sam­men­hang mit ei­ner ge­gen Gar­ve rich­te­ten Ar­gu­men­ta­ti­on: „Ich woll­te be­wei­sen, daß alle Un­verständ­lich­ke­it re­la­tiv, und darst­el­len, wie un­verständ­lich mir zum Be­is­pi­el Gar­ve sei.” (Fried­rich Sch­le­gel, Über die Un­verständ­lich­ke­it, Athe­na­e­um 3 (1800), 2, 335–352, hier: 337.) Der hier an­ges­pro­che­ne Gar­ve glaub­te tatsäch­lich da­ran, die Phi­lo­sop­hie im Zuge der Anst­re­bung „ob­jek­ti­ver Kennt­nis­se” von ih­rer in­di­vi­du­el­len Form be­f­re­i­en zu kön­nen, und Sch­le­gel be­tont dag­egen wirk­lich die ge­schicht­li­che Re­la­ti­vität des Wis­sens. Sind aber di­e­se be­iden Annä­he­run­gen dia­met­ral Entge­gen­ge­setzt? Auf der ei­nen Se­i­te macht Gar­ves aus­d­rück­li­che Ank­nüp­fung an die Bacon’sche Wis­senschaftst­he­orie des „Selbst­den­kens” un­mög­lich, ihn als Dog­ma­ti­ker auft­re­ten zu las­sen. (Ch­ris­ti­an Gar­ve, Ein­ige Be­o­bach­tun­gen über die Kun­st zu den­ken = Ders., Ver­su­che über verschi­e­de­ne Ge­genstän­de aus der Mo­ral, der Lit­te­ra­tur und dem ges­ells­chaft­li­chen Le­ben, Zwey­ter The­il, Bres­lau, Wil­helm Gott­li­eb Korn, 1796, 248–431, hier: 427–428.) Und auf der an­de­ren Se­i­te sche­int Tho­u­ards Eins­tel­lung übert­ri­eben zu sein, dass die Ak­zen­tu­i­er­ung der Una­b­ge­sch­los­sen­heit der Denk­be­we­g­ung bei den Ro­man­ti­kern (meis­tens als „Iro­nie” be­stimmt: 85.) iden­tisch mit der Ges­te der „De­konst­ruk­ti­on” wäre (81.). Dag­egen sprec­hen etwa die absch­li­eßen­den Be­mer­kun­gen von Sch­le­gels Unverständlichkeit-Essay, wo­rin ger­ade nicht da­rum geht, den on­to­lo­g­is­c­hen Sta­tus des Sub­jekts in Frage zu stel­len, son­dern da­rum, dass es in der Bil­dungs­ge­schich­te der Mensch­he­it sich (auf recht po­pu­larp­hi­lo­sop­his­che Wei­se) allmäh­lich „die All­macht” des Ver­stand­es sich of­fen­bart: „Die große Sche­i­dung des Ver­stand­es und des Un­ver­stand­es wird im­mer all­ge­mei­ner, heft­iger und klar­er wer­den. Noch viel ver­bor­ge­ne Un­verständ­lich­ke­it wird aus­b­rec­hen müs­sen. Aber auch der Ver­stand wird sei­ne All­macht zeigen; er der das Gem­üt zum Cha­rak­ter, das Ta­lent zum Ge­nie ad­elt, das Ge­fühl und die Anscha­u­ung zur Kun­st läu­tert; er selbst wird ver­stan­den wer­den, und man wird es end­lich ein­se­hen und eing­es­te­hen müs­sen, daß je­der das Höchs­te er­wer­ben kann und daß die Mensch­he­it bis jetzt we­der bos­haft noch dumm, son­dern nur un­ge­schickt und neu war.” (Sch­le­gel, Über die Un­verständ­lich­ke­it, 350.) [Herv. G. F.]

Tho­u­ard zi­ti­ert Sch­le­gels Prog­rammsch­rift Über die Phi­lo­sop­hie, wo­ra­us er­hellt, dass der An­sp­ruch der Ro­man­ti­ker auf „all­ge­me­ins­te Mit­te­i­lung” und wah­re „Po­pu­la­rität” im Zei­chen ei­ner auf die We­sen­heit des Mensc­hen ge­rich­te­te Be­we­g­ung des Ge­is­tes steht. (84.) Es ble­ibt hier al­ler­dings unklar, wie die hier ver­kün­de­te „hö­he­re Form der Po­pu­la­rität” sich zu der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie verhält. Ich sehe ke­i­nen Grund da­für, die be­iden Vors­tel­lung­sar­ten der Phi­lo­sop­hie un­ter­schi­ed­li­chen Pa­ra­dig­men zu­ord­nen. Dassel­be gilt für das „pla­to­nis­che Pro­jekt” Sch­lei­er­ma­chers, im Zent­rum mit dem als Dia­log ge­form­ten Vort­rag, wo­bei man „die Thä­tig­ke­it der Ver­nunft im Herv­or­brin­gen der Er­kennt­niß un­mit­tel­bar anschau­en und anschau­end nach­bil­den kann” (103.) Di­e­se Art von Vort­rag ist eine an­gest­reb­te Form auch der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie, von Gar­ve „sok­ra­tis­che Met­ho­de” gen­annt und fol­gen­der­maßen besch­ri­eben: „[hier] ge­ni­eßt der Le­ser des Ver­gn­ü­gens, der Me­di­ta­ti­on des Phi­lo­sop­hen gleich­sam bey­zu­woh­nen, und nicht nur die ent­wic­kel­ten Ideen dessel­ben zu er­fah­ren, son­dern auch zu se­hen, wie sich, nach und nach, ent­wic­keln”. (Gar­ve, Ein­ige Be­o­bach­tun­gen…, 343.)

Nach Tho­u­ard bes­te­he die grundsätz­li­che „Wi­der­sprüch­lich­ke­it” der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie vor­züg­lich da­rin, dass sie „po­pulär” in ei­nem dop­pel­ten Sinn neh­men: zum ei­nen vers­te­hen sie da­run­ter (Tho­u­ard be­di­ent sich des Be­is­pi­els von Chr. Gar­ve) „das­jen­ige, wel­ches dem größern Pub­li­cum, und nicht bloß dem Ge­lehr­ten verständ­lich ist” und zum an­de­ren „das, wel­ches für die ni­e­de­ren Volksklas­sen be­stimmt ist”. (53.) Mei­ner Mei­nung nach aber lässt sich di­e­ser sche­in­ba­re Wi­der­spruch aufg­rund ei­ner dy­na­mis­c­hen An­sicht der Aufklä­rung auf­zu­lö­sen, wie sie in den Erwä­gun­gen von Mos­es Men­dels­sohn zum Aus­druck kommt. Nach Men­dels­sohn sei näm­lich zwis­c­hen ei­ner „Mensc­he­na­ufklä­rung” und ei­ner „Bür­ger­a­ufklä­rung” zu un­ter­sche­i­den. Di­e­se zwei Annä­he­rungs­mög­lich­ke­i­ten de­fi­ni­ert er fol­gen­der­maßen: „Die Aufklä­rung, die den Mensc­hen als Mensch in­te­r­essirt, ist all­ge­me­in ohne Un­ter­schi­ed der Stän­de; die Aufklä­rung des Mensc­hen als Bür­ger be­trach­tet, mo­di­fic­irt sich nach Stand und Be­ruf.” (Mos­es Men­dels­sohn, Über die Frage: was heißt aufklä­ren?, Ber­li­nis­che Mo­natssch­rift 2 (1784), 193–200, hier: 196–197.) Bei der oben aus ei­ner Ab­hand­lung Gar­ves zi­ti­er­ten dop­pel­ten Sinn­ge­bung der Po­pu­la­rität kommt wahr­sche­in­lich di­esel­be Du­a­lität zur Gel­tung: So­lan­ge die ein­fa­chen Mensc­hen der ni­e­de­ren Volksklas­sen nicht fer­tig für die Wahr­he­i­ten ei­ner all­ge­me­i­nen Aufklä­rung sind, müs­sen sie ih­rem Stand gemäß „mo­di­fi­zi­ert” auf­geklärt wer­den. Das letz­te Ziel wäre aber im Sin­ne Men­dels­sohns, dass man di­e­se be­iden Aufklä­rung­sar­ten mi­te­inan­der in Har­mo­nie bringt, aber dies wird mög­lich nur un­ter ei­ner ständ­i­gen Be­rück­sich­ti­gung der ge­schicht­li­chen Um­stän­de. Di­e­se be­iden Va­ri­an­ten der Wis­sens­ver­mitt­lung er­sche­i­nen auch in ei­nem an­de­ren grundsätz­li­chen Werk zur po­pu­larp­hi­lo­sop­his­c­hen Met­ho­do­lo­gie, näm­lich in Jo­hann Ja­kob En­gels Über Hand­lung, Gespräch, und Erzäh­lung. Hi­er­in wird in An­leh­nung an Fran­cis Bacon‘s Wis­senschaftst­he­orie me­tap­ho­risch zwis­c­hen der Met­ho­de der Ver­pflan­zung der Wahr­he­it in der Se­ele des Le­sers und der bloßen Über­re­i­chung der Er­geb­nis­se des ei­ge­nen Den­kens un­ter­schi­e­den. En­gel lobt die Vor­te­ile der ers­te­ren Met­ho­de, weil sie „uns selbst den Ge­ist der Un­ter­su­chung einf­lösst”, hält sie aber nicht für all­ge­me­in an­wend­bar. (Jo­hann Ja­kob En­gel, Frag­men­te über Hand­lung, Gespräch und Erzäh­lung [1774] = Ders., Re­den, äst­he­tis­che Ver­su­che, Ber­lin, 1802, 101–267, hier: 158–160.)

Es ble­ibt also fest­zustel­len, dass die po­pu­larp­hi­lo­sop­his­che The­orie, aufg­rund der Evi­denz der in­ter­sub­jek­ti­ven Kom­mu­ni­kat­ionssi­tu­a­ti­on ste­hend, nicht die The­se ei­ner me­cha­nis­c­hen, gez­wun­ge­nen Ide­en­ver­mitt­lung vert­ritt, ob­wohl sie un­ter Um­stän­den auch di­e­se als mind­er­wer­tig be­trach­te­te Form der Aufklä­rung für mög­lich hält. Was also Tho­u­ard für eine Wi­der­sprüch­lich­ke­it der po­pu­larp­hi­lo­sop­his­c­hen The­orie hält, kann auch als eine Fol­ge des ge­schicht­li­chen In­te­res­ses di­e­ser The­orie auf­ge­fasst werden.

Tho­u­ard be­wer­tet zu­sam­men­fas­send die deu­tsche Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie als ein „Mis­ser­folg” und zwar un­ter der Be­rück­sich­ti­gung ih­rer schon erwähn­ten „Wi­der­sprüch­lich­ke­it”, aber auch we­gen ih­rer an­ge­nom­me­nen „Na­i­vität”, die sich „in der Auf­fas­sung” zeigen soll: „das Den­ken müs­se sich gar nicht dem Prob­lem sei­ner Kom­mu­ni­kat­ion stel­len, da die Spra­che ja für das Den­ken nur ein Werk­ze­ug sei.” (23.) Hier sei zunächst ein­zu­wen­den, dass solch eine Spracht­he­o­retis­che Be­wusst­he­it gar nicht erst mit Ro­man­tik ein­tritt, wie es spä­ter ang­e­de­u­tet wird („Mit der deu­tsc­hen Ro­man­tik kehrt man der Auf­fas­sung der Spra­che als Inst­ru­ment der Ide­en­kom­mu­ni­kat­ion den Rüc­ken zu und wird der So­li­da­rität von Den­ken und Spra­che ge­wahr, die sich ge­gen­se­i­tig konst­ru­i­e­ren.” 127.), son­dern zu­vor schon von meh­re­ren aufklä­re­ris­c­hen Phi­lo­sop­hen (von Leib­niz über Jo­hann Hein­rich Lam­bert bis hin zu Ha­mann) vert­re­ten wurde. Es ist al­ler­dings nicht zu le­ug­nen, dass die Po­pu­larp­hi­lo­sop­hen die Mög­lich­ke­it der Kom­mu­ni­zi­er­bar­ke­it der Ideen nicht anz­we­i­fel­ten, aber da­hin­ter li­egt mei­nes Erach­tens kein Ref­le­xion­sman­gel („Na­i­vität”), son­dern eher der the­o­retisch be­grün­de­te Glau­be da­ran, dass es mög­lich sei, eben aufg­rund der an­ge­nom­me­nen Zu­sam­men­ge­hö­rig­ke­it von mensch­li­cher Spra­che und Den­ken, die ge­ei­gne­ten Aus­drucksmit­tel der ein­zel­nen Ideen zu fin­den. Die von „der Aufklä­rung ei­gen­tüm­li­chen Verständ­nis­wil­len” er­ze­ug­te „Rhe­to­rik der Klar­he­it” (62.) ist dem­nach in di­esem Fall auch nicht ein­fach ge­ge­ben, son­dern ist selbst im­mer das Er­geb­nis the­o­retis­cher Über­le­g­un­gen, wie es Gar­ves hier be­han­del­tes Es­say Von der Po­pu­la­rität des Vort­ra­ges bezeugt.

Dar­ü­ber hi­na­us ist es ein we­nig ver­wir­rend, dass Tho­u­ard ei­ner­se­its über die Na­i­vität und Rat­lo­sig­ke­it ei­nes Ern­es­ti spricht, der „noch auf La­te­i­nisch po­pu­la­ri­si­e­ren zu kön­nen glaub­te” (146.), und an­der­er­se­its die „Ver­herr­li­chung der Na­ti­o­nal­spra­chen” zu den kons­ti­tu­ti­ven Ele­men­ten der Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie zählt. (33.) An di­esem Punkt hät­te in Be­tracht gezo­gen wer­den kön­nen, dass die Po­pu­larp­hi­lo­sop­hie auch in di­e­ser Hin­sicht zwei, einan­der ergän­zen­de Sicht­wei­sen vert­re­ten hat. Auf der ei­nen Se­i­te war man um die Verb­re­i­tung der an­ti­ken Idee des hu­manit­as be­müht, und man teil­te die An­sicht, dass die an­ti­ken Spra­chen aufg­rund ih­rer all­ge­me­i­nen Mo­dell­haf­tig­ke­it bes­tens ge­ei­gnet für eine zweck­fre­ie, all­ge­mei­ne Mensc­hen­bil­dung se­i­en. (Vgl. Jür­gen Le­on­hardt, La­te­in: Ge­schich­te ei­ner Welt­spra­che, Ver­lag C. H. Beck, Mün­chen 2009, 261–262.) Auf der an­de­ren Se­i­te hing­e­gen war man sich auch den An­sp­rü­chen der „Bür­ger­a­ufklä­rung” á la Men­dels­sohn be­wusst, und da spi­el­ten schon die na­ti­o­nalen Spra­chen eine en­tsche­i­den­de Rol­le. (Der Mensch als „Bür­ger“ befin­det sich ja sch­li­eß­lich nicht nur se­i­nem Stand und Be­ruf nach in ei­ner spe­zi­el­len Lage, son­dern auch als Mit­g­li­ed ei­ner (Sprach)Nation.) Wich­tig ist da­bei, dass die ve­rall­ge­mei­nern­de und spe­zial­isi­e­ren­de Be­trach­tungs­wei­se des Mensc­hen einan­der nicht aussch­li­eßen, son­dern – im Sin­ne Men­dels­sohns – eine hö­he­re Ve­re­i­ni­gung der be­iden an­gest­rebt wird. In di­esem Kon­text wird es be­de­u­tungs­voll, dass den be­trächt­li­chen Teil des Oeuvres ei­nes Ch­ris­ti­an Gar­ves kom­men­ti­er­te Über­set­zun­gen aus Ci­ce­ro und Aris­to­te­les aus­ma­chen, das als Beit­rag zu der Be­wah­rung ei­ner Nähe zu den ori­gi­na­len Ide­en­qu­el­len und zug­leich als ein Ver­such zur Har­mon­i­si­er­ung der be­iden Aufklä­rungstypen an­g­e­se­hen wer­den kann.

Der große Ver­di­enst di­e­ses Wer­kes ist die Eröff­nung ne­u­er Pers­pek­ti­ven der deu­tsc­hen Phi­lo­sop­hi­e­ge­schich­te um 1800. Die Ne­u­erzäh­lung di­e­ser Ge­schich­te als die Ge­schich­te der Form der Phi­lo­sop­hie führt näm­lich zu ei­nem zwe­i­fa­chen Bruch mit der her­kömm­li­chen Phi­lo­sop­hi­e­ge­schichtssch­re­i­bung. Zum ei­nen ist die Ge­schich­te der zum Vers­te­hen brin­gen­den Form nicht mehr die Erzäh­lung über die „großen Gest­al­ten” der Phi­lo­sop­hie, und zum an­de­ren ste­hen hier nicht mehr die „großen Wer­ke“ im Mit­tel­punkt. Statt­des­sen steht im Fo­kus di­e­ser Un­ter­su­chung die inter- oder sup­ra­sub­jek­tive und ‑tex­tu­el­le Form­e­be­ne der Phi­lo­sop­hie: Die Ebe­ne des ge­me­in­sa­men Bil­dung­s­pro­jekts, wo­ra­uf ei­gentlich alle Te­il­neh­mer der zeit­gen­ös­sis­c­hen deu­tsc­hen phi­lo­sop­his­c­hen Ge­me­inschaft hi­nar­be­i­te­ten. Aus di­esem Blick­win­kel wäre die Phi­lo­sop­hie letzt­lich mit der von den Ro­man­ti­kern an­gest­reb­te „Symp­hi­lo­sop­hie“ gleich, und Thouard’s Buch ist dem­nach ein Ver­such, eine phi­lo­sop­his­che Lands­chaft zu zeich­nen, wo auch den „klei­nen” Gest­al­ten wicht­ige Pos­ten zu­kom­men können.

Tar­ta­lom

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